Am einfachsten wäre es theoretisch, wenn die Sachkundige Person als Grundlage für ihre Entscheidungen ausreichend fachkompetent in allen relevanten Themenfeldern (z.B. Entwicklung, DoE, QbD, CQA, QTPP, IT Validierung, Analytik, Prozess-Validierung, Verfahren, Process Understanding, Detailkenntnisse der Herstellungsverfahren und Prozesse, Anlagen-Qualifizierung, technisches Verständnis) wäre. Das ist aber in den meisten Fällen aufgrund der Vielzahl der Themenbereiche nicht möglich. Also wird die Sachkundige Person sich auf entsprechende Experten verlassen müssen.
Für die QP lassen sich daraus drei Grundsätze ableiten:
- Entscheidungen sind ohne Sachkenntnis nicht möglich (das geht nur in der Politik)
- Vertrauen in die Fachkompetenz der Experten, die entscheidungswichtige Informationen liefern, ist grundlegende Voraussetzung
- Unwissenheit schützt die QP vor Strafe bei verantwortlichen Fehlentscheidungen nicht
Vertrauen beinhaltet stets Risiken und Wahrscheinlichkeiten. Beides sollte die Sachkundige Person angemessen einschätzen können und bei ihrer Entscheidung im Rahmen einer persönlichen Risiko-Analyse berücksichtigen.
Faustregeln:
- Würde ich dem eigenen Kind / Familienangehörigen das freizugebende Medikament in Kenntnis seiner Qualität(smängel) verabreichen ?
- Verstoße ich gegen irgendeine behördliche Vorschrift ?
- Habe ich ausreichende Kenntnisse der Vorschriften und bin in der Lage, diese gesamthaft in ihren Wechselbeziehungen auf die konkrete Aufgabenstellung anzuwenden ?
- Bin ich mit der Situation so umfassend vertraut (inhaltlich und fachlich), dass ich als zuständige sachkundige Person (gemäß Annex 16 3.1) über alle Abweichungen informiert bin, die die Übereinstimmung mit den Standards der Guten Herstellungspraxis … beeinflussen könnten ?
Beispiel: Ich weiß, dass ein Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Fertigung die Schulung zur SOP „Verhalten im Reinraum“ noch nicht erhalten hatte. Kann ich die Charge freigeben ?
Da solche QP Entscheidungen business-kritisch werden können (z.B. Sperrung einer Charge) und gelegentlich auf starken Widerstand stoßen (z.B. bei notwendig werdenden Investitionen in Gebäude, Anlagen oder Personal oder bei Outsourcing Projekten) sollte die QP in der Lage sein, darzustellen, dass ihre Forderungen regulatorisch und inhaltlich begründet sind und jegliche Wahrnehmung ihrer Entscheidung als „Schikane“ anderer Bereiche unter allen Umständen (z.B. durch klare Kommunikation und Transparenz der Entscheidungsgrundlagen) vermeiden.
In den meisten Fällen kommt als Gegenargument: „Wo steht das ?“: Gut, wenn die QP die Fundstelle kennt. Da man dem gedruckten Text in Regelwerken in vielen Fällen mehr vertraut als der Kompetenz der Sachkundigen Person, sollte diese ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz mitbringen: Entscheidungen unter dem Image eines „Bremsers“ oder einer „sign-off machine“ zu treffen braucht ein gewisses persönliches Selbstvertrauen und Standing.
Unqualifizierte Attacken wie “Stellen Sie sich doch nicht so an” erfordern eine solide mentale Robustheit, um Kritik aushalten können ohne beleidigt zu wirken und Standpunkte argumentativ zu verteidigen.
Bei der QP werden zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale wie die Fähigkeit, konstruktive Kritik an anderen zu üben ohne diese zu verletzen besonders gefordert. Da hilft ihr ein „qualifizierter Pragmatismus“. Oft muss unter dem Druck der Entscheidungssituation die QP Probleme lösen, die sie selbst gar nicht verursacht hat. Je nach Persönlichkeit wird sie dann als Minimalist, Realist oder Optimist zu tragbaren Problemlösungen kommen.
„Tragbar“ kann eine solche Lösung nur sein,
- wenn die in der Problemstellung enthaltenen Risiken ausreichend berücksichtigt werden,
- wenn die Problemlösung als Anstoß für Verbesserungen in Organisation und Abläufen genommen wird, um eine künftige Wiederholung des Problems zu vermeiden
- Wenn sie von allen Beteiligten verstanden (was nicht zwingend „gutgeheißen“ meint) wird
Als „besser“ wird eine solche Lösung wahrgenommen; wenn sie von der Mehrheit gutgeheißen wird. Dabei ist große Vorsicht vor „demokratischen“ Mehrheits – Entscheidungen angebracht. Die letzte Entscheidungsinstanz ist und muss die sachkundige Person bleiben.
Die „beste“ Lösung vermeidet das Wiederauftreten des Problems dauerhaft
Es gibt neben dem „Standard-Entscheider“ noch zwei weitere Sorten von Entscheidern:
- Menschen, die gerne vorschnelle Entscheidungen treffen, sollten sich fragen:
- Habe ich genügend Informationen (Fakten) um eine Entscheidung treffen zu können?
- Ist die Entscheidung zeitkritisch?
- Was sagt mir meine Intuition (Bauchgefühl)?
- Was wären die Konsequenzen einer vorschnellen Entscheidung ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage ?
- Sollte ich andere Kollegen in die Entscheidung mit einbeziehen?
- Menschen, die gerne Entscheidungen hinauszögern
- Gab es in der Vergangenheit ähnliche Situationen, auf die ich zurückgreifen kann?
- Gibt es ein Ziel hinter dem Ziel, auf neudeutsch: eine hidden agenda ?
- Gibt es jemanden, den ich mit einbeziehen kann?
- Was sagt mir meine Intuition (Bauchgefühl)?
- Welche Fakten brauche ich denn noch, um eine Entscheidung zu treffen, oder: warum kann ich nicht jetzt entscheiden ?
- Was wären die Konsequenzen einer womöglich unnötig verzögerten Entscheidung?
Allen Entscheider-Typen möchte ich zwei Bücher zur Lektüre empfehlen, die mir geholfen haben:
Peter Brandl, Hudson River – Die Kunst schwere Entscheidungen zu treffen
Rolf Dobelli, Die Kunst des klaren Denkens – 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen
Bei allen Entscheidungen gibt es einen mehr oder weniger großen Ermessensspielraum (decision space), der durch zwei Randbedingungen limitiert ist:
- Was schwarz auf weiß in amtlichen Regelwerken steht, lässt praktisch keinen Ermessensspielraum zu
- wo jenseits davon in der Grauzone Ermessenspielraum besteht, nutze ich diesen im Rahmen eines „risk based approach“ (in der Reihenfolge: Patient, Hersteller, QP) zu Gunsten des Herstellers aus und wäge dabei wirtschaftliche Aspekte gegen Arzneimittelsicherheits- und betriebliche und persönliche Haftungsrisiken ab.
An dieser Stelle schließt sich der Kreis. Wenn Sie sich erinnern: in Folge 3 haben wir uns mit den Risiken beschäftigt.
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