Entscheidungen sowohl der sachkundigen Person als auch von Behördenvertretern bei Inspektionen basieren häufig auf den Inhalten von SOPs: Standard Operating Procedures.
Diese sind nicht etwa eine Erfindung oder Besonderheit der Pharma-Industrie, sondern finden sich auch in anderen Branchen (z.B. Luftfahrt, Lebensmittelindustrie, Krankenhäuser) oft unter anderen Bezeichnungen wie Verfahrensanweisungen oder Betriebsanweisungen immer dann wieder, wenn geregelte (und eben standardisierte) Abläufe einen Einfluss auf die Qualität des Produkts oder der Dienstleistung haben. Fast immer sind diese Anweisungen Bestandteil eines Qualitätsmanagementsystems (so auch im GMP und ISO Bereich).
Ich unterscheide in diesem Zusammenhang gern zwischen chargenbezogenen und chargenunabhängigen Dokumenten. Zu den letzteren gehören auch die SOPs. In beiden Fällen werden zunächst Vorgaben befolgt (daher auch die Klassifizierung in Vorgabe-Dokumente) und die Resultate anschließend dokumentiert.
Es soll hier aber nicht im Wesentlichen um die Struktur und die Erstellung von SOPs gehen (dazu gibt es reichlich Literatur, Vorlagen und Hinweise an anderen Stellen), sondern ich möchte mich in dieser neunten Folge unseres Podcasts etwas näher mit dem Sinn oder Unsinn von SOPs in unserer Pharma-Branche befassen.
Nehmen wir SOP als Abkürzung für silly or pragmatic deutet sich bereits an, was bei SOPs entscheidend ist: SOPs um ihrer selbst willen zu erstellen, so nach dem Motto „wollen die Inspektoren sehen, aber wir arbeiten sowieso nicht danach“ ist sehr riskant und sollte von der QP nicht toleriert werden.
Ich habe als QP den Anspruch, dass eine SOP die Wirklichkeit einerseits pragmatisch aber andererseits auch hinreichend detailliert wiedergibt.
Oft habe ich bei Audits sehen müssen, dass Mitarbeiter Abläufe auf einem Schmierzettel in der Kitteltasche dokumentiert und diese Aufzeichnungen später in andere Dokumente übertragen haben. Übrigens: ein Mittel, um das zu verhindern, ist, Kittel oder Schutzkleidung ohne Taschen zu verwenden.
Nicht nur, dass ein solches Vorgehen den Straftatbestand der Urkundenfälschung, Fälschung technischer Aufzeichnungen oder Fälschung beweiserheblicher Daten erfüllt – nein man lügt sich selbst und jedem Auditor oder Inspektor damit in die Tasche: SOPs sollen Standards in mehr oder weniger komplexen Routine-Abläufen beschreiben. Ich habe mir bei vielen Audits mittlerweile eine Äußerung eines FDA Inspektors bei einer Inspektion zu eigen gemacht: „Ihr präsentiert mir den SOP als den Standard Eurer Abläufe und in Wirklichkeit arbeitet Ihr ganz anders.“ Das ist mittlerweile auch nach meiner Auffassung als Auditor ein fraud, ein Betrugsversuch.
Das ganze SOP-System gehört dann auf den Prüfstand.
In vielen Fällen lässt es sich erfolgreich folgendermaßen organisieren:
- Ein kompetentes Sekretariat wird in der formalen und strukturellen Erstellung von SOP Entwürfen trainiert und ist darin so fit, dass die jeweiligen Mitarbeiter die Beschreibung ihrer gewohnten Abläufe mit eigenen Worten (wenn es sein muss, auf einem Stück Schmierpapier) formlos im Sekretariat abgeben können. Dort wird dann der Inhalt in Form und Struktur gebracht und als Entwurf den Entscheidern vorgelegt (zu denen natürlich unbedingt auch diejenigen Mitarbeiter gehören, die es dann später so ausführen sollen).
- Wenn dann die SOP in das final draft Stadium verabschiedet wurde und die Inhalte geschult wurden, stellt sich oft bei der Schulung heraus, dass die beschriebenen Abläufe noch nicht stimmen und es muss nachgebessert werden. Der „Aha-Effekt“ tritt aber häufig noch später ein: beim Verteilen von autorisierten Kopien unterschreibt der empfangende Mitarbeiter nicht nur für den Empfang, sondern auch dafür, dass er die Inhalte dieser SOP befolgen und notwendige Änderungen auf dem oben beschriebenen Weg kommunizieren wird. Spätestens wenn die Mitarbeiter auch für die Befolgung unterschreiben müssen, tritt oft der gewünschte Effekt ein: die Verweigerung der Unterschrift mit der Begründung, diese SOP könne so nicht befolgt werden, ist genau der Umstand, der SOPs realitätsnah und pragmatisch macht: sie bilden die Wirklichkeit ab, so dass danach tatsächlich gearbeitet werden kann.
- Die Gesamtanzahl der vorhandenen GMP-SOPs sollte nach meiner Erfahrung auch in großen Organisationen die Zahl von 300 nicht übersteigen. Diese Zahl hat sich bei vielen Audits als Obergrenze erwiesen. Gibt es mehr SOPs, können diese nicht mehr wie vorgeschrieben unter Kontrolle gehalten werden. Dazu gehören Erstellung, Cross-Referenzen, Versionierung, Verteilung, Schulung und Wiedereinzug – auch wenn es elektronisch erfolgt.
- Organisieren Sie die Versionierung oder den Review der SOPs entlang der Realität. Sammeln Sie für jeden SOP während seiner Gültigkeit Notizen der Mitarbeiter und sorgen Sie dafür, dass diese Hinweise nicht verloren gehen und bei der nächsten Revision berücksichtigt werden. Die Mitarbeiter sollten auch zu diesen Notizen und Korrekturvorschlägen aktiv aufgefordert werden und diese in beliebigem Format im Sekretariat abgeben können.
Zur Frage silly or pragmatic: entfernen Sie radikal alle SOPs, die nicht befolgt werden oder mangels realistischer Darstellung nicht befolgt werden können. Taktisch ist es immer besser, den Hinweis zu riskieren, dass hier und dort eine SOP fehle, als vorgehalten zu bekommen, eine SOP werde nicht befolgt und das sei als Betrugsversuch zu werten – möglicherweise ein sogenannter show-stopper !
Binden sie die Mitarbeiter, die nach den SOPs arbeiten müssen, unbedingt als Autoren mit ein. Auch wenn sie vielleicht nicht gut im Formulieren oder Schreiben oder Formatieren oder im Umgang mit Textverarbeitung oder PC sind, ein fähiges Sekretariat kann das kompetent erledigen. Es geht in erster Linie, darum, die Inhalte ausführbar und sinnvoll zu gestalten.
Ich habe als QP und von vielen als so bezeichneter „Systemgarant“ den Anspruch, dass das System für das ich geradestehen soll, auch funktioniert. Das System ist nicht dazu da, den Inspektor zufrieden zu stellen, sondern einen Beitrag zur Qualität von Arzneimitteln in Herstellung, Qualitätskontrolle oder Qualitätssicherung zu leisten und diese Qualität habe ich als QP sicherzustellen. Sofern SOPs aus Überzeugung gelebt werden und nicht motivationslos aus „Kadavergehorsam“ gegenüber vermeintlichen Vorschriften erstellt werden, ist viel gewonnen.
Tipp zum Schluss:
- Setzen Sie nichts in den Abläufen als selbstverständlich voraus nach dem Motto: „das weiß ja wohl jeder“. Schreiben Sie die Inhalte in die SOPs und lassen sich dann überzeugen, dass Sie zu wenig vorausgesetzt haben.
- Scheuen Sie sich nicht, sich mit Ihren Vorstellungen unbeliebt oder gar lächerlich zu machen.
- Lassen Sie sich auch niemals zu der Aussage hinreissen „ich gehe davon aus, dass …“, damit belegen Sie nur, dass Sie die näheren Umstände nicht kennen.
Lassen Sie mich mit einem Zitat von Mahatma Gandhi schließen:
Zuerst ignorieren sie Dich, dann lachen sie über Dich, dann bekämpfen sie Dich und dann gewinnst Du.
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